»Probleme liegen tiefer«

RZ-Interview mit dem Landwirt Ottmar Ilchmann


Bewirtschaftet einen Hof mit rund 60 Milchkühen: Ottmar Ilchmann aus Klostermoor ist seit elf Jahren der Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). © Foto: privat
Bewirtschaftet einen Hof mit rund 60 Milchkühen: Ottmar Ilchmann aus Klostermoor ist seit elf Jahren der Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). © Foto: privat

Viele Bauern auch im Rheiderland tragen ihre Wut über die Agrarpolitik auf die Straßen. Bei ihren Protesten geht es nicht allein um die Agrardiesel-Vergütung. »Die Probleme liegen tiefer«, sagt Ottmar Ilchmann. Der Landwirt bewirtschaftet seit 30 Jahren einen Milchvieh-Betrieb in Klostermoor in der Gemeinde Rhauderfehn und ist seit elf Jahren Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Die RZ hat den 61-Jährigen gefragt, was sich ändern muss, damit Familienbetriebe eine positive Zukunftsperspektive haben.

Welches Zwischenfazit ziehen Sie zum Verlauf und zur Wirkung der jüngsten Proteste im Landkreis Leer und bundesweit? Was läuft gut, was könnte besser laufen?

Ottmar Ilchmann: Die Proteste sind machtvoll und weitgehend friedlich und diszipliniert verlaufen. Auch die befürchtete Vereinnahmung von rechts hat - wenn überhaupt - nur in geringem Maße stattgefunden. Ein großer Erfolg war schon vor dem Beginn der eigentlichen Protestwoche die Rücknahme der Einführung einer Kfz-Steuer und die Streckung des Auslaufens der Dieselsteuer-Erstattung auf drei Jahre. Aber die Probleme liegen tiefer. Im Gespräch mit den Bauernvertretungen haben die Ampel-Fraktionsvorsitzenden dazu Angebote gemacht. Wie und in welchem Tempo diese umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Im Mittelpunkt steht immer wieder die Forderung nach der Abwahl der Ampel-Regierung. Warum wäre der Landwirtschaft damit geholfen?

Im Mittelpunkt steht eigentlich, zumal beim Bauernverband, die Forderung nach der Rücknahme der Einschnitte bei der Agrardiesel-Besteuerung und bei der Kfz-Steuerbefreiung. Daneben gibt es noch etliche andere Anliegen wie Bürokratieabbau, Verbesserung der Marktstellung der Landwirtschaft, etcetera. Eine »Abwahl« der Ampel fordert kein einziger Verband, höchstens einzelne Demonstranten. Eine Abwahl, besser gesagt ein Regierungswechsel, würde den Landwirten gar nichts helfen. Denn die verfehlte Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte wurde ja von allen in Frage kommenden Parteien getragen.

Ein wichtiges Anliegen der Landwirte ist die Eindämmung der Auflagen-Flut - eine Forderung, die seit Jahren erhoben wird. Sind also keine Auflagen notwendig, um die Natur zu schützen und Nutztiere artgerecht zu halten? Welche Auflagen wären in dieser Hinsicht zielführend?

Das Ziel der Agrarpolitik war über Jahrzehnte die möglichst billige Produktion großer Rohstoffmengen, auch für den Weltmarkt. Das hat viele Landwirte dazu gebracht, sehr intensiv zu produzieren und die Ressourcen auszunutzen. Genau das hat uns aber in Gegensatz zu Zielen des Natur-, Wasser- und Klimaschutzes und des Tierwohls gebracht. Mit Auflagen wird jetzt versucht, die Folgen dieser Agrarpolitik abzumildern. Sinnvoller wäre es, zum Beispiel über die Verteilung der Direktzahlungen gesellschaftlich erwünschte Leistungen zu honorieren.

Inwiefern werden Familienbetriebe bei staatlichen Hilfsleistungen gegenüber Großunternehmen benachteiligt? Wie ließe sich das ändern?

Die Direktzahlungen sind an die Fläche gebunden, das heißt, wer viel Land bewirtschaftet, bekommt automatisch hohe Zahlungen. Auch beim Agrardiesel gilt: Jeder verbrauchte Liter wird angerechnet. Das ist ein Wettbewerbsvorteil für Betriebe, die weite Fahrtstrecken zu ihren Flächen zurücklegen. Wir brauchen bei allen staatlichen Leistungen Instrumente wie Staffelung nach Größe oder Obergrenzen, um die Wettbewerbsnachteile, die kleinere Betriebe sowieso schon haben, zumindest zum Teil auszugleichen. Nur so kann es gelingen, eine vielfältige Agrarstruktur zu erhalten.

Aus der Schublade geholt werden zurzeit Vorschläge, die schon früher gemacht wurden - zum Beispiel ein »Bauern-Soli«. Welche politischen Beschlüsse wären sinnvoll, um ein nachhaltiges Wirtschaften zu belohnen?

Mit »Bauern-Soli« meinen Sie wahrscheinlich die Tierwohlabgabe. Die wurde von der »Borchert-Kommission« vorgeschlagen, um den gesellschaftlich gewollten, aber vom Verbraucher an der Ladenkasse nicht honorierten Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Ohne eine solche Unterstützung, zumindest für eine Übergangszeit, wird es nicht gehen. Aber auch die Verbesserung der Marktstellung der Erzeuger gegenüber Verarbeitern und Handel und die Einführung einer klaren Herkunftskennzeichnung werden jetzt diskutiert und sind sinnvoll.

Die AbL hebt hervor, unabhängig zu sein von Gentechnik-, Chemie-, Agrar- und Ernährungsindustrie, von Parteien und Verbänden. Inwiefern hebt sich die AbL in dieser Hinsicht von anderen Interessenvertretungen der Landwirte ab?

Wir sehen uns explizit als Vertretung kleinerer und mittlerer Betriebe und arbeiten dabei stark mit Partnern aus der Zivilgesellschaft zusammen. Wir versuchen, mit Verbraucher-, Naturschutz- und Tierschutzverbänden gemeinsame Standpunkte zu finden. Um gehört zu werden, braucht man Verbündete. Andere Bauernverbände haben Verbündete in Molkereien, Schlachtbetrieben und bei Landschaftmaschinenherstellern. Die personelle Verquickung mit den Handelspartnern aus der Wertschöpfungskette ist ein Problem. Ich kann nur schwer Landwirtschaftsinteressen vertreten, wenn ich gleichzeitig einen Aufsichtsratsposten bei einer Molkerei besetze. Es ist schwierig, zwei Herren zu dienen.

DER VERBAND

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht sich als Interessensvertretung von bäuerlichen Betrieben - unabhängig davon, ob sie konventionell oder ökologisch wirtschaften oder kleinere oder größere Höfe haben. Der Landesverband Niedersachsen/Bremen hat einen monatlichen Online-Stammtisch, zu dem sich Mitglieder und Interessierte treffen, um sich auszutauschen sowie Probleme und Ideen zu diskutieren. Wer daran interessiert ist, kann sich per E-Mail an stammtisch@abl-niedersachsen.de melden. Der Landesvorsitzende Ottmar Ilchmann ist erreichbar unter Tel. 04967-334 und per E-Mail an o.ilchmann@yahoo.de.

Internet: www.abl-ev.de